Schwieriges Erben

Ein Streifzug durch die 126jährige Geschichte der Firma F. Moritz Müller, Furnier- und Sägewerke. Holz-Import und -Export, Leipzig/Hamburg

Zu den Leipziger Gewerbebetrieben, denen im 19./20. Jahrhundert der Aufstieg zu europäischer und sogar Weltbedeutung glückte, gehört das Holzverarbeitungs- und Holzhandlungsunternehmen F. Moritz Müller in Wiederitzsch. Wie das Familienunternehmen entstand und wuchs, wie es Krisen, Kriege und gesellschaftliche Umbrüche überstand, die nicht nur in das Unternehmen, sondern auch in das Los der Unternehmerfamilie tief eingriffen, bietet Stoff für einen erregenden Dokumentarbericht.


Friedrich Moritz Müller, der die Firma 1891 übernommen hatte, um 1900

Die Geschichte begann 1878, als Friedrich Moritz Müller aus Döbeln in Leipzig eine bescheidene Nutzholzhandlung gründete, die aufblühte, als der Sohn des Gründers, Friedrich Moritz Müller jun., das Geschäft 1891 übernahm. Damals verlangte die prosperierende Industrie besonders nach dem widerstandsfähigen Eichenholz, das zum Beispiel für Eisenbahnwaggons, für Schiffs- und Unterwasserbauten, für die Möbelherstellung und für zahlreiche andere Verwendungszwecke gebraucht wurde. Der Junior wagte den risikoreichen Schritt, in den weiten und noch fast völlig unberührten Wäldern Südosteuropas und Südrußlands eigene Waldbetriebe für den Holzeinschlag einzurichten. Mit dem in diesen »Exploitationen« gewonnenen wertvollen Holz und mehr und mehr auf »trockene Eiche« spezialisiert, bekam die Firma ein festes wirtschaftliches Fundament. Schon 1903, nach dem Tode des Vaters, übernahm der Sohn Georg die Firma, die nunmehr schon in der dritten Generation Familienunternehmen war, und führte sie mit wachsendem Erfolg. Das Unternehmen erwarb zu seinem Grundbesitz in Eutritzsch ein 70000 Quadratmeter großes Areal in Riesa an der Elbe hinzu. Der Holzimport auf dem Wasserweg über Hamburg und Lübeck ersparte Kosten. Zugleich konnten in Riesa beträchtliche Holzmengen für den Weiterverkauf gelagert beziehungsweise im angeschlossenen Säge- und Furnierwerk verarbeitet werden. Georg nahm 1908 seinen jüngeren Bruder Willy in das Geschäft auf, und schon vor dem ersten Weltkrieg hatte die Firma eine angesehene Stellung in der Branche erreicht.

Den beiden Brüdern – Georg hatte 1918 den Titel eines Kgl. Sächsischen Kommerzienrats erhalten und Willy 1924 den eines Dr. phil. h. c. – gelang es, das Unternehmen den ersten Weltkrieg, die Inflation und die Weltwirtschaftskrise nicht nur überstehen zu lassen, sondern es zu vergrößern. Die 1920er und 1930er Jahre sahen das Werden und Wachsen ihres Holzverarbeitungswerks in Wiederitzsch, für das die Firma 1918 eine Fläche von etwa 660000 Quadratmetern Größe erworben hatte. Mit seinen leistungsfähigen Produktionsanlagen, darunter Maschinen und Einrichtungen für die Herstellung von Furnieren, die großenteils zu Sperrholzplatten weiterverarbeitet wurden, sowie für den komplizierten Prozeß der Herstellung von Fässern, wurde es damals zu den technisch modernsten Säge- und Furnierwerken Europas gezählt. In den 1920er Jahren ließ die Firma auch Filialen in Hamburg (1924) sowie in Berlin-Neukölln (1928) entstehen. Den kleinen Ort Wiederitzsch, in dem die Firma größter Industriebetrieb und zugleich größter Grundbesitzer war, unterstützte sie mit erheblichen Geldzuwendungen für die Heranführung der Straßenbahnlinie aus Leipzig (1926) sowie für die Erweiterung der Wasserleitung und trug so zu dessen städtischer Entwicklung bei. In den 1930er Jahren entstanden im Wiederitzscher Werk Anlagen für die Herstellung von Faßdauben aus Holzlamellen, womit die Fässer billiger hergestellt werden konnten als mit Dauben aus vollem Holz. Georg Müller hatte hierauf 1934 ein amerikanisches Patent erhalten. So bekam das Wiederitzscher Werk für die Firma immer größere Bedeutung und wurde zum Firmensitz, der bis dahin in Eutritzsch lag. Das Unternehmen besaß Handelspartner in zahlreichen Ländern der Welt. Seit der Mitte der 1920er bis zum Ende der 1930er Jahre wurde Kommerzienrat Georg Müller auch von Exportunternehmen der UdSSR regelmäßig zu Verhandlungen nach Moskau eingeladen; in dieser Zeit hat die Firma mit den sowjetischen Exportunternehmen Verträge im Umfang von mehr als 50 Millionen Reichsmark abgewickelt.

Dann griff der zweite Weltkrieg in das Geschehen ein. Zahlreiche Import- und Exportbeziehungen wurden abgeschnitten, und um den Anforderungen der Kriegswirtschaftsbehörden nachzukommen, mußte die Firma Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und ausländische Arbeitskräfte einsetzen. 1943 arbeiteten etwa zwölfhundert Menschen im Werk. Sie kamen aus dreizehn Ländern, vor allem aus Polen und Rußland. Am Ende des Krieges im Mai 1945 stand das Werk zwar mit einigen Zerstörungen durch Bombentreffer da, aber es war dennoch nicht ohne Zukunftshoffnung. Nach gründlicher Prüfung hatte sich die 1946 gebildete sächsische Landesregierung in der entscheidenden Beratung mit dem Ministerpräsidenten Max Seydewitz (SED), dem Minister für Wirtschaft und Wirtschaftsplanung Fritz Selbmann (SED), den Ministern Dr. Johannes Dieckmann und Prof. Kastner (beide LDPD) und anderen Regierungsmitgliedern für den Verbleib der Firma in den Händen der Eigentümer ausgesprochen. Georg Müller, der nicht Mitgliedder NSDAP gewesen war und in der Hitlerzeit daher auch der Industrie- und Handelskammer nicht angehört hatte, setzte sich sofort für den Wiederaufbau der Wirtschaft ein und wurde von Minister Selbmann in die Vorstände der Industrie- und Handelskammern in Leipzig und Dresden sowie in den Beirat des Sächsischen Industriekontors berufen. Die Weiterarbeit des Betriebs sicherten zunächst Reparationsaufträge, die trotz erheblichen Mangels an Rohstoffen, Materialien und zahlreicher anderer Schwierigkeiten erfüllt wurden. Mit Schreiben vom 14. März 1947 mußte allerdings die Geschäftsleitung der Firma das zuständige Ministerium in Dresden darauf hinweisen, daß eine Erhöhung des Reparationsauftrags »in Fässern von der Qualität, wie sie im Reparations-Auftrag Nr. R-06-61175 vereinbart ist«, nicht möglich sei. »Maßgebend für die anzufertigende Menge ist nicht die Maschinenkapazität, sondern die Beschaffungsmöglichkeit der Menge des Holzes von so hoher Qualität, daß daraus Fässer laut Vertragsbedingungen produziert werden können.« Hölzer minderer Qualität würden zu Fässern für den einheimischen Bedarf verarbeitet, aber auch deren Menge reiche nicht aus. »Die deutschen Brauereien können wegen Mangel an Fässern weder die russischen Besatzungstruppen noch die deutsche Bevölkerung auftragsgemäß mit Getränken beliefern.« Erschien damals Rohstoff- und Materialmangel als eine zeitweilige und überwindbare Folge des Krieges, stellte sich jedoch immer mehr heraus, daß solche Engpässe nicht nur die Anfänge des wirtschaftlichen Aufbaus behinderten, sondern schließlich den Niedergang der Wirtschaft in der DDR bestimmten.


Faßdaubenherstellung in der Firma F. Moritz Müller, Leipzig

In der damaligen Sowjetischen Besatzungs- zone (SBZ) stellte das Werk der Firma F. Moritz Müller den modernsten und bei weitem leistungsfähigsten Betrieb der Holzindustrie dar. Seine Produktions- kapazität betrug jährlich 35000 Fässer, 1200 Kubikmeter Sperrplatten, 1200 Kubikmeter Furnier, dazu beträchtliche Mengen Schnittholz. Auch Lagervorräte waren vorhanden. In der wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebs muß der eigentliche Grund für den staatlichen Zugriff auf den Betrieb im Februar 1948 gesucht werden. Damals begann die einheitliche Planung und Lenkung der Wirtschaft in der SBZ, mit der das sozialistische Primat der Vergesellschaftung der Produktionsmittel weiter durchgesetzt werden sollte. Deshalb wurde das Unternehmen zum volkseigenen Betrieb erklärt – ein Willkürakt, der im Widerspruch zu der erst ein Jahr zuvor beschlossenen sächsischen Verfassung stand, die Enteignungen nur auf gesetzlicher Grundlage und zudem nur gegen Entschädigung zuließ. Deckung bot den deutschen Machthabern bei der Inbesitznahme des Betriebs allerdings ein Befehl der Sowjetischen Militär- administration, also der Besatzungshoheit, und die wird von der Gesetzgebung der BRD bis heute respektiert.

Am 14. April 1948 wurde im Werk auf Anordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Wiederitzsch die Firmenleitung in Person von Dr. Willy Müller und seinem Prokuristen verhaftet. Kommerzienrat Georg Müller, damals schon zweiundsiebzig Jahre alt, war nicht anwesend. Für das Werk wurden sofort zwei Treuhänder eingesetzt, zu deren Einarbeitung der Prokurist umgehend wieder auf freien Fuß kam. Die Verhaftung gründete sich auf schwerwiegende, aber erfundene Anschuldigungen (Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Wirtschaftsvergehen), so daß Dr. Müller nach dieser ebenso wie nach einer zweiten Verhaftung freigelassen werden mußte, ohne daß es überhaupt zu einer Anklage kam.


Schälfurnierherstellung

Die behaupteten, aber nie bewiesenen Delikte sind nicht nur durch die Zeitungen in der hiesigen Bevölkerung verbreitet und natürlich niemals widerrufen worden, sondern die Unternehmer sollten auch in Westdeutschland in Verruf gebracht werden.
So richtete die Industriegewerkschaft Holz im FDGB, Berlin, 1948 ein Schreiben an die Industriegewerkschaft Holz in Hamburg mit Behauptungen, die eine arbeiterfeindliche Haltung Georg Müllers belegen sollten, aber leicht widerlegt werden konnten. Das alles zeigt eine menschenverachtende Regie: Schäbige Verleumdungen und falsche Anschuldigungen gegenüber integren Persönlichkeiten wurden für erforderlich gehalten, um die staatliche Inbesitznahme des Werks vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Georg Müller widmete sich nach seiner Flucht aus Leipzig dem Vorwärtskommen der Hamburger Filiale, in der die Firma F. Moritz Müller als Holz-Import-Unternehmen weiterlebte und erneut aufstrebte. Dr. Willy Müller kam nach äußerst strapaziöser Haft in Leipzig frei, gelangte in die Bundesrepublik, widmete sich der Aufgabe, die Düsseldorfer Holzhandlung Anton Peters, die sich bereits seit 1919 im Besitz der Firma F. Moritz Müller befand, geschäftlich weiterzuentwickeln, und übernahm 1951, nach dem Tode Georg Müllers, die Leitung der Hamburger Firma, die er bis zu seinem Lebensende 1968 inne hatte.


Dr. Willy Müller (hier mit Tochter und Schwiegertochter) lenkte die Geschicke der Firma nach dem Krieg bis zur Enteignung im Jahre 1948

Das Werk in Wiederitzsch, nunmehr VEB Holzveredlungswerk, begann ab 1949 neben der traditionellen Faß- und Sperrholzproduktion mit der Herstellung von Spanplatten und Mikrofurnieren. Zunächst nur mit großen Schwierigkeiten in Gang kommend, wurden die Spanplattenerzeugung wie die Herstellung von Sperrholzplatten zur Hauptproduktion. Schon 1951 beschäftigte der Betrieb mehr als 1000 Personen, erhielt im Laufe der Jahre einige modernere Produktions-, Transport- und Verladeanlagen und erwies sich als ein wichtiger Faktor in Leipzigs Wirtschaft und in der Holzindustrie der DDR. Nach dem Ende der DDR versuchte das Werk in der Form einer GmbH weiterzuleben, mußte jedoch 1992 wegen Unwirtschaftlichkeit in Liquidation gehen und wurde 2003 im Handelsregister gelöscht. Zugleich begann 1989 das zähe, heute noch nicht abgeschlossene Ringen um das der Firma Müller 1948 entzogene Firmenareal. Mehrere Generationen der Unternehmerfamilie hatten ihr Leben schon mit der Firma verbunden, nun setzte sich die nächste Generation dafür ein,das Firmeneigentum wiederzuerlangen, um am traditionellen Standort einen neuen geschäftlichen Anlauf zu nehmen. Mitte 1991 wurden entsprechende Rückgabeanträge jedoch abgelehnt. Die Firma sei 1948 unter Besatzungsrecht enteignet worden, weshalb gemäß dem geltenden Vermögensgesetz ein Anspruch der Erben auf Rückübertragung des Eigentums nicht bestehe. Die Erben griffen diese Auffassung scharf an. Es gehe schließlich um familiäre Bindungen an das Unternehmen: »Bedenken Sie bitte«, schrieben sie, »daß unser Engagement am Wiederaufbau unserer alten Firma an alter Stelle[...] ungleich höher einzuschätzen ist, als dies bei Fremdfirmen, die aus reinen Renditeaspekten an das Projekt herangehen, der Fall wäre.« Und: »Sie dürfen versichert sein, daß ich, solange ich lebe, alle mir zur Verfügung stehenden Rechtsmittel anwenden werde, um unser Firmengrundstück zurückzuerhalten und somit meinen Großvater,Dr. Willy Müller, zu rehabilitieren...«

Heute, mehr als zwölf Jahre danach, ist der Prozeß vor dem Verwaltungsgericht in Leipzig über die Rückgabeansprüche noch nicht entschieden, da die Beweislage über die Enteignung unklar ist. In der Zwischenzeit ließ die Treuhand sämtliche Firmenbauten und -anlagen abreißen, sogar die als Zeppelinhalle bekannte Furnierhalle wurde abgebrochen.


Die Firma F. Moritz Müller in Wiederitzsch. Heute ist davon nichts mehr zu sehen, die Gebäude und auch die als Zeppelinhalle bekannte Furnierhalle sind abgerissen.


Quelle: Leipziger Blätter, Ausgabe 45, 2004, Autor: Ulrich Krüger

Kontakt:

F.MORITZ MÜLLER
Hamburg/Leipzig
f.moritz-mueller@gmx.de